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35 Jahre Kammerdiener
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<div class="artikel90"> ={{PAGENAME}}= {{Infobox Publikation | autor = Winfried Hofinger | medium = Tiroler Bauernkalender | texttyp = Artikel | erscheinungsdatum=2002 | kategorien= Winfried Hofinger;2002 | anmerkungen= | anmerkungen2= }} Ein Rückblick auf viele schöne Jahre Während dieser Kalender gemacht wird, räumt der Verfasser dieser Zeielen seine Schreibtische auf: Einen in der Brixner Straße, den anderen im Schulungsheim Reichenau. Wenn der Kalender ausgeliefert wird, bin ich schon im "wohlverdienten" Ruhestand. Korrekt in der "Vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer." Da alle 1939er und 1940er so schnell wie möglich in Pension gegangen sind, und die ersten 1941er sich schon verabschieden, bin ich, Jahrgang 1939, schon seit Ende 1999 der älteste Kammerangestellte. Man kann mein längeres Bleiben als Anzeichen dafür werten, dass ich gerne für den Tiroler Bauernstand gearbeitet habe. Zeit für einen Rückblick ohne Bitterkeit, ganz ohne Zorn. Viele der damals handelnden Personen sind nicht mehr am Leben. Als ich 1966 mit gut 26 Jahren eintrat, bestand das Präsidium aus den sehr alten Herren Josef Muigg, Johann Hörtnagl, Johann Thöni und dem 37 Jahre jungen Kammeramtsdirektor Dr. Alois Partl. Nach der Kammerwahl 1967 wurde Hans Astner Präsident, Hans Schweiger und Franz Eberharter wurden Vizepräsidenten. Das Präsidium verjüngte sich auf einen Schlag um rund 30 Jahre. Unter den alten Kammerangestellten gab es solche, die 1938 von den Nazis aus der Agrarverwaltung eliminiert worden waren, wie Walter Koch und Franz Huter, oder Mitläufer, die nach 1945 auch deshalb weitermachen durften, weil andere Fachkräfte nicht zu haben waren. Zeitgeschichtler werden mir zürnen, dass ich den großen Entnazifizierungsakt unlängst dem Altpapier übergeben habe. Wem dient es, wenn offenbar würde, dass Vater oder Großvater 1938 nicht zu den Helden gezählt haben? Gerade als Sohn eines 1938 zwangspensionierten Beamten nahm ich mir das Recht, über 50 Jahre alte belastende Papiere verschwinden zu lassen. Dem Präsidenten Josef Muigg (1945 - 1967) haben die Nazis 1938 den Hof angezündet. Direktor Franz Lechner (1945 - 1965) hatte zeitweise Gauverbot. Sie hatten beide keinerlei Hemmungen, belastete Fachleute einzustellen. Einmal sagte ich zum ersten Forstreferenten der Kammer: "Unsere Lebensläufe sind eigentlich recht eintönig: Volksschule, Gymnasium, Bodenkultur, Kammerdienst. Eure Lebensläufe dagegen ..." Dr. Riedel darauf: "Dabei steht bei uns das meiste gar nicht drinnen ..." Mein erster Bruttogehalt war unter 4.000 Schilling. Meine frisch angetraute Ehefrau war nicht außerhäuslich berufstätig, was schon damals die Ausnahme war. Bei den meisten Kollegen arbeitete die Frau bis zur Karenz anlässlich der Geburt des ersten Kindes. Unsere erste - schöne und große -Wohnung am Innrain kostete ganze 1500.- S im Monat, sodass mir netto gut 2000 S geblieben wären, wenn nicht mein Schwiegervater die ersten Jahre die Miete gezahlt hätte. Mit Nachhilfestunden und Übersetzungen versuchte meine Frau einen Beitrag zum Familieneinkommen zu erwirtschaften. Natürlich hatten wir kein Auto. Vor mir hatte die Kammer keinen hauptberuflichen Pressereferenten. Hans Schermer, der auch Beratung, Landjugend und Hauswirtschaft aufgebaut hatte, besorgte die Pressearbeit neben seiner Tätigkeit als Schul- und Landjugendreferent und Leiter der Reichenau. Direktor Lechner hatte zur Presse ein besonderes Verhältnis. Er hielt alle Journalisten für Strolche und Tagediebe, auf deren Wohlwollen man gerne verzichten könnte. Alois Partl, der vorher bei der Präsidentenkonferenz gearbeitet hatte, wusste immer um den Wert einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit. Beim ersten Gespräch über meine Anstellung fragte er mich, ob ich denn auch schreiben könne. Ich legte ihm einen kleinen Stapel eigener Artikel vor, die ich als Schüler und Student verfasst hatte. Das genügte. In den 60er Jahren war die Selbstversorgung Österreichs (außer beim Mais) erreicht, und sie begann, zum Problem zu werden. Minister Karl Schleinzer führte dem Krisengroschen bei der Milch ein; er betrug im Maximum rund 10 Prozent des Milchpreises, oder 19 von 200 Groschen. Die Milchleistung je Kuh, die Futterumwandlung bei Schweinen und die Legeleistung der Hühner, die Hektarerträge bei Getreide und Mais erreichten Werte, die früher niemand je für möglich gehalten hätte. Der Stand der Landarbeiter, der Knechte und Mägde, ging dramatisch zurück. Es gab die ersten Nebenerwerbsbauern nun auch in Gebieten mit mittleren und größeren Höfen, auf denen noch vor kurzem zwei, drei Dienstboten beschäftigt waren. Die Preise für landwirtschaftliche Produkte waren zum Teil auch nominell wesentlich höher als heute (Weizen 3 Schilling!). Der Urlaub auf dem Bauernhof wurde organisiert. Die Bauern gerieten zahlenmäßig in die Minderheit, und schon deshalb wurde die Öffentlichkeitsarbeit immer wichtiger. Die Medien waren damals: Die alles beherrschende Tiroler Tageszeitung, der zuliebe Funktionäre aller Parteien die eigenen Zeitungen, die es damals noch gegeben hat, gerne links liegen ließen. Was man am Morgen in der Zeitung las, wurde am Vortag in den Druckereien in Blei gegossen. Der Rundfunk bestand eigentlich fast nur aus dem Hörfunk. Ein Beitrag für das Österreichbild im Fernsehen wurde am Innsbrucker Hauptbahnhof einem Lokomotivführer übergeben; in Wien holte ein Bote des Staatsfunks die noch unentwickelten Filmbänder ab. Was dann ein, zwei Tage nach der Aufnahme im Ö-Bild erschien, war nicht immer mit dem identisch, was die Tiroler Redaktion auf die Reise geschickt hatte. Das ganze Landesstudio hatte in einem Stockwerk des Landhauses Platz. Künstlerisch wertvolle Radiobeiträge wurden in der Nacht aufgenommen, weil untertags der Paternoster-Lift zu laut rumpelte. Um diese Zeit erschien der erste regelmäßige Pressedienst der Kammer. Auf Matrizen geschrieben, wurde die Meldung abgezogen, kuvertiert und den Redaktionen zugesandt. Die erste gemeinsame Nummer aller österreichischen Kammerzeitungen erschien Ende 1972 aus Anlass der Einführung der Mehrwertsteuer: Man bemerkte damals, dass nicht jede Kammer zu dieser umwälzenden Neuerung je fünfzehn eigene Beiträge verfassen müsste. Es folgten viele weitere gemeinsame Nummern. Mit Direktor Alois Partl ging ich einmal in der Woche in das Landhaus. Im großen Sendesaal des Rundfunks, im ersten Stock, nahmen wir, betreut von Dr. Friedl Haider, eine Sendung "Aus dem Land, für das Land" auf. Die Kammer kaufte ein Tonbandgerät, mit dem ich überall, wo eine bäuerliche Veranstaltung war, Interviews aufnahm. Der Kammer war das natürlich recht, und auch dem Rundfunk wäre es viel teurer gekommen, an einem Samstag Vormittag einen eigenen Mitarbeiter nach Oberndorf zu schicken um ein fünf-Minuten-Interiew von der dortigen Pinzgauer Ausstellung zu machen. Einmal kam ich von so einer Ausfahrt mit vier Beiträgen zurück, was, auch nach dem Abzug der Einkommensteuer, eine schöne Zubuße zu meinem Gehalt war. Die Beamtengehälter, und damit auch die unseren, stiegen erst um 1970 beträchtlich an. Der alte Spruch, dass ein Beamter zwar wenig, das aber dafür sicher verdient, stimmt spätestens ab dieser Zeit nicht mehr. Nun bekommen wir reichlich, und das sicher. Es war eine schöne Zeit, damals. Robert Riedler sagte später einmal, dass man unter Lechner immer das Gefühl hatte, zu wenig zu tun, bei Partl fühlte man, richtig zu liegen, bei seinem Nachfolger hatte man den Eindruck, eher zu viel zu tun. Auf einer ganztägigen Pressefahrt stellten Direktor Alois Partl und Hofrat Hans Weingartner den am Ende recht erschöpften Journalisten die neue Schweinestation in Rotholz, das Käselager in Hall, die Besamungsanstalt in Telfs und das Kartoffellager in Silz vor. Es schien alles nur aufwärts zu gehen. Die Kammer war so wohl geordnet, dass sie meinte, es sich leisten zu können, nach dem Abgang von Alois Partl in die Landesregierung mit einem Teilzeitdirektor auszukommen. Jakob Halder war dazu noch Abgeordneter zum Nationalrat, Parteiobmann des größten Bezirkes, Obmann der Sozialversicherungsanstalt der Bauern und Obmann einer Wohnbaugenossenschaft. Dass die Kammer trotz der fast ständigen Abwesenheit ihres leitenden Beamten nicht zugrunde ging, ist nur darauf zurückzuführen, dass in den Bezirken und in den Abteilungen so gut gearbeitet wurde. Und weil die Mitfinanzierung dieser Arbeit durch Bund und Land nie in Zweifel gezogen wurde. Ob neue Aufgaben angegangen, oder verzichtbare abgegeben wurden, war nicht das Ergebnis von längerem Nachdenken oder von Arbeitsgruppen, sondern hing eigentlich nur davon ab, ob ein Abteilungsleiter dies oder jenes für wichtig oder unwichtig hielt. Um 1980, als der Forstreferent der Kammer in Pension ging (mit 65 Jahren, wie das allgemein üblich war), fragte mich Präsident Hans Astner, ob ich nicht dessen Nachfolger werden wollte. Ich darauf: Ich habe mich seit dem Studium kaum mehr mit forstlichen Fragen befasst, mehr als dass ich monatlich die Forstzeitung lese habe ich in dem Bereich, den ich gelernt habe, nicht mehr getan. Astner entgegnete: Du kannst das sicher. Ich bin dann auch deshalb gerne in die Forstwirtschaft ausgewichen, weil wir uns im Präsidium auseinandergelebt hatten. Auf einer wilden Betriebsversammlung im Gasthof Sailer war ich der Anführer der Jungen gegen die abenteuerliche Pensionsregelung für uns Kammerangestellte. Ein Direktionssekretär, der ich inzwischen geworden war, der gegen seine Obrigkeit den Aufstand inszeniert? Ein Leben lang die Reden für andere schreiben? Noch ein paar tausend Belangsendungen verfassen? - Ich sagte zu, und ich übernahm die forstliche Interessenvertretung und die Geschäftsführung der Einforstungsgenossenschaft. Vor 20 Jahren wurde von den Landesräten Partl und Basetti die Skipistenkommission eingerichtet. Über diese Einrichtung habe ich, als sie zehn Jahre alt war, einen Artikel geschrieben, der mehrfach nachgedruckt worden ist. Die Rechtsanwälte waren über diese den Gerichten vorgeschaltete Schlichtungsstelle nicht gar so erfreut, was sie Basetti auch schriftlich mitgeteilt haben. Wenn heute diese Kommission nur mehr ein- oder zweimal im Jahr ausrücken muss, dann ist dies auch eine Folge davon, dass es sie gibt. 1985 wurde ich als jemand mit Kenntnissen auf dem Gebiet der Forstwirtschaft (also nicht als Kammervertreter) in den Naturschutzbeirat des Landes berufen und dort gleich zum Vorsitzenden gewählt. Eine der ersten Veranstaltungen war eine Enquete zum Thema Klärschlamm. Es wurde uns bedeutet, dass dies eigentlich kein Naturschutzthema, sondern allenfalls ein Umweltproblem wäre. Als Folge dieser Tagung wurde das Thema vom Land aufgegriffen. Landesräte aller vier im Landtag vertretenen Parteien sind seit damals für den Klärschlamm zuständig gewesen. Keine(r) von ihnen hat auch nur andeutungsweise etwas anderes getan als das, was die Betreiber der Klärwerke und die Beamten in der Herrengasse von ihnen wollten. Nach den extrem heißen Sommern 1983 und 1984 verschlechterte sich der Zustand der Tiroler Bäume dramatisch. Wir machten Lehrfahrten ins böhmische Erzgebirge, um dort zu bestaunen, was der Endzustand sein würde: Zehntausende Hektar mit toten Bäumen. Als dann der sofortige Tod des Gebirgswaldes nicht eintrat, wurde uns vorgeworfen, unerlaubt dramatisiert zu haben. Wir darauf: Hätten wir nicht so laut geschrieen, dann wäre der Katalysator für Autos, die Entschwefelung des Heizöles, die Filter bei thermischen Kraftwerken und vieles andere nicht gekommen. "Opa, erzähl uns vom Wald" hieß eine von mir geschriebene Weihnachtsgeschichte. Ein alter Forstmann erzählt im Jahr 2007 seinen Enkeln, wie das damals war, als es in Tirol noch Bäume gegeben hat. Von höchster Stelle wurde mir bedeutet, dass es unerlaubt sei, so zu übertreiben. Um diese Zeit regte sich der erste Transitwiderstand. Mit Gurgisser, Hussl, Scheiring und anderen stand ich in der ersten Reihe, wenn es galt, zu demonstrieren. Als ich vor der Vollversammlung der Vomper Bürgerinitiative zum Widerstand, auch zum Gesetzesbruch aufforderte, war das Maß voll: Es wurde mein Rücktritt als Vorsitzender gefordert, weil ein Anarchist doch nicht gut Vorsitzender eines Beratungsgremiums der Regierung sein könnte. Die eigentlichen Anarchisten seien doch ganz andere, konterten wir. Und Partl schützte den unbequemen Mann, den er selbst vor Jahren angestellt hat. Von 1980 bis 1990 verbrauchte die Kammer nicht weniger als fünf Pressereferenten. Präsident Steger fragte mich 1990, ob ich nicht wieder das machen wollte, was ich doch am besten könnte. Ich darauf: Ich fühle mich in der Forstwirtschaft wohl und möchte dort bleiben. Steger meinte, ich bekäme einen Forstmann und einen Pressemann meiner Wahl zugeteilt, wenn ich nur die Oberaufsicht über beide Bereiche übernähme. Da konnte ich nicht nein sagen, und so entstand die für ganz Österreich einmalige Konstruktion, dass die Forstwirtschaft und die Presse von ein und demselben Mann besorgt werden - besser gesagt, von seinen tüchtigen Mitarbeitern. Inzwischen habe ich mich, wohl von meinem Vater her erblich belastet, mit der Erforschung der Agrargeschichte befassen dürfen. Zum 175. Geburtstag des ersten landwirtschaftlichen Wanderlehrers, des Mistapostels Adolf Trientl, durfte ich ein Buch gestalten. Der Bauernbefreier Hans Kudlich fasziniert mich ebenso wie der Tiroler Agrarpionier Peter Jordan oder der Roppener Arzt und Bauernpräsident Peter Paul Pfausler. Die Ergebnisse dieses Hobbys konnten in diesem Kalender mehrfach nachgelesen werden. Für die dazu nötigen Freiräume bin ich der Kammer besonders dankbar. 1996 wurde ich zum Vorsitzenden des Betriebsrates gewählt. In den letzten Jahren ist es uns gelungen, das Pensionssystem der Kammerangestellten auf eine tragbare Basis zu stellen. Das waren die einzigen Wochen meiner 35 Jahre in der Brixner Straße, in denen ich in der Nacht schlecht geschlafen habe. Niemals zuvor habe ich, nie wieder werde ich über solche Summen mitzuentscheiden haben. Bleibt zu hoffen, dass dies alles auch so hält, wie wir vom Betriebsrat und Direktor Richard Norz uns das vorgestellt haben. Zu guter letzt übernahm ich im Jahre 1998 die Leitung des Schulungsheimes Reichenau. Was aus diesem Haus wird, müssen andere tragen. Darüber jetzt zu schreiben, während das im Verlauf des Jahres 1999 erarbeitete Konzept realisiert werden soll, wäre verfrüht. Es waren, alles in allem, 35 schöne Jahre. Ich habe viel Geduld bei jenen erfahren, die mich nie recht einordnen konnten. So weit es ging, war ich loyal, aber es ging halt nicht immer. Jetzt schmeißen sie dich dann hinaus, fürchteten meine Eltern, wenn ich wieder einmal gegen heilige Kühe im Land - von Bischof Rusch bis zur Familie Swarovski, von der Jagd bis zu Golf oder Seilbahnen - angeschrieben oder geredet hatte. 35 Jahre beim selben Dienstgeber - das gilt heute als unbeweglich und einfallslos. Mir aber war nie fad. Wenn ich ins Erzählen komme, sagen jüngere Kollegen, ich sollte gerade die unglaublichen Vorkommnisse einmal aufschreiben. Wenn mich der Kalendermann schön darum bittet, könnte sich das für einen späteren Kalender einmal ausgehen. </div> [[Kategorie:Winfried Hofinger]] [[Kategorie:2002]]
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