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Rückblick auf eine agrarische Sozialpartnerschaft
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<div class="artikel90"> ={{PAGENAME}}= {{Infobox Publikation | autor = Winfried Hofinger | medium = Rede | texttyp = Vortrag | erscheinungsdatum= Dezember 2006 | kategorien= Landeskulturrat; Agrargeschichte; 2006 | anmerkungen=Vortrag vor der letzten Vollversammlung der LLK f. Tirol | anmerkungen2= }} Vor genau 125 Jahren, als "Die Bezirksgenossenschaften der Landwirthe und der Landesculturrath" gegründet wurden, da gab es darin bereits zwei Sectionen: Die 1. war jene in Innsbruck für Deutschtirol; die 2. Section war die für Welschtirol mit dem Sitz in Trient. Der Entwurf des entsprechenden Gesetzes wurde dem freien Tiroler Landtag von Wien über den Statthalter in Tirol und Vorarlberg übermittelt. Ausführlich berichtet der Vertreter des Kaisers im Land, eben der Statthalter, an den Ackerbauminister, was der Landtagsausschuss am Entwurf alles ändern wolle. Und er fragt an, ob man diese Wünsche in Wien wohl alle durchgehen lassen würde. Am meisten irritierte den Landtag, dass im ständigen Ausschuss in Innsbruck wie in Trient die von oben ernannten Mitglieder die bäuerlichen Vertreter zahlenmäßig deutlich übertreffen würden: Es waren dies in der 1. Section, also in Innsbruck, neben dem Präsidenten ein Landesausschuß-Beisitzer (der zugleich Stellvertreter des Präsidenten in der Sectionsleitung war; und ihm stand es frei, den Landes-Cultur-Ingenieur als Fachmann beizuziehen); dann der jeweilige mit den Landes-Cultur-Angelegenheiten bei der Statthalterei betraute Referent (dem es wieder freistand, einen Staatstechniker oder den k.k. Forstinspektor oder den Landes-Thierarzt als Fachmänner beizuziehen); zwei vom Ackerbauminister berufene Mitglieder und zwei vom Landes-Ausschusse berufene Mitglieder. Die Obmänner der Bezirksgenossenschaften wurden dagegen in Gruppen zusammengefasst - was bedeutete, dass die letztlich 44 Bezirksgenossenschaften in Deutschtirol nur fünf Vertreter im ständigen Ausschuss hatten, gegenüber sieben ernannten Mitgliedern. Das ist nicht gerade das, was wir heute eine starke Selbstverwaltung nennen würden. Eine gewisse Fortsetzung fand die starke Präsenz von Amtspersonen in der bäuerlichen Interessenvertretung bis weit ins 20. Jahrhundert, wenn zu den Vollversammlungen der Landeslandwirtschaftskammer die Hofräte und Oberräte aus dem Landhaus zumeist in Kompaniestärke erschienen, und sich dort auch an den Diskussionen beteiligten. Das geschah aber im Einklang mit dem Gesetz aus 1949, das im Abschnitt "Aufsicht" vorsah, dass die Landesregierung zu allen Sitzungen der Vollversammlung, des so genannten paritätischen Hauptausschusses und der Sektionsversammlungen zu laden ist. "Ihr Vertreter nimmt mit beratender Stimme an den Sitzungen teil und kann jederzeit Anträge stellen" (!) Auch die Konstituierung mehrerer Kammerorgane erfolgte stets unter dem Vorsitz eines Abgesandten der k.k. Statthalterei bzw. nun der Landesregierung. 1881 war von einer Vertretung der Landarbeiter - sie waren damals die weitaus größte Gruppe aller Unselbständigen im Lande - weder im Gesetzestext noch in den Debatten dazu die Rede. Auch von den Sorgen und Anliegen der Landarbeiter sprach man da kaum. Von den Frauen natürlich auch nicht. Die Frauen waren um diese Zeit zu keinem Landtag, zu keinem Gemeinderat wahlberechtigt, und schon gar nicht in diese Gremien wählbar. Noch im Jahre 1902 wird in der Nr. 1 der Tiroler Bauernzeitung über die Einführung des aktiven wie des passiven Wahlrechts der Frauen in Skandinavien nur gespottet ... Wer befasste sich im 19. Jahrhundert mit den Landarbeitern? Es ist der "Mistapostel" Adolf Trientl, der im Jahre 1867 fordert, den Dienstboten an Stelle der so genannten abgebrachten Feiertage, die zu nichts nutz sind, gesetzlich geregelte und am besten zusammenhängende arbeitsfreie Tage zu geben, natürlich in der arbeitsarmen Zeit; und wegen der (Sexual-)Moral am besten nach Geschlechtern getrennt. Um diese Zeit hatte fast niemand in Österreich so etwas wie einen Urlaub, allenfalls noch die Lehrer! Aber sonst fällt auch Adolf Trientl zu den Landarbeitern nicht viel mehr ein als dass sie fleißig und bescheiden sein sollen, weil sie sonst immer mehr von den viel anspruchsloseren und fleißigeren Wanderarbeitern aus Italien (also von Gastarbeitern) ersetzt würden. Nach der Monarchie ... Ab 1918 waren viele Gesetze zu ändern, schon deshalb, weil es den Kaiser in Wien (etwa zur Ernennung des Präsidenten des Landeskulturrates) nicht mehr gab. Im Jahre 1920 erneuerte der Landtag das Gesetz betreffend die Bezirksgenossenschaften und den Landeskulturrat. Berichterstatter war, so wie bei der Novelle 1928, der Oberländer Abgeordnete Andreas Gebhart, einer der vielen bäuerlichen Funktionäre aus den mittleren Reihen, die heute fast ganz vergessen sind. Gebhart, geboren 1881 in Stams, war Landesrat von 1920 bis 1934. Das Gesetz, das 1920 beschlossen und erst im Jänner 1922 veröffentlicht wurde, brachte die "Zwangsmitgliedschaft" der bäuerlichen Grundeigentümer und eine mit dem Einheitswert gekoppelte Umlage. Die Kosten des Landeskulturrates sollte auch nach dem neuen Gesetz, trotz Einnahmen aus der Umlage, in erster Linie das Land bezahlen. Erstmals wurde 1922 mit dem aus Roppen stammenden Arzt Dr. Peter Paul Pfausler ein Präsident frei gewählt. Pfausler war einer der interessantesten bäuerlichen Funktionäre des 20. Jahrhunderts; er starb nach kurzer Amtszeit Anfang 1924. Erstmals als Mitglieder des Landeskulturrates scheinen die Arbeitnehmer in der Novelle des Gesetzes aus 1928 auf. Es heißt nun im neuen Paragraph 1 wörtlich: "Zur Vertretung und Förderung der Interessen der Landeskultur und des Berufsstandes der Land- und Forstwirte sowie der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer sind berufen 1. Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften der Landwirte (Bezirks=Landwirtschaftskammern); 2. der Landeskulturrat (Landes=Landwirtschaftskammer)." In der sehr lebhaften Debatte wird festgestellt, dass es sich bei dem allem längst um Kammern handelt, dass man aber die Bezeichnungen Landeskulturrat und Bezirksgenossenschaften deshalb beibehalten will, weil sie sich eingebürgert haben und die so benannten Einrichtungen einen sehr guten Ruf haben. Die Sozialisten bringen in der Landtagssitzung vom 28. Jänner 1928 zwei ganz neue Gesetzesanträge ein, von denen der erste eine Bauernkammer, und das zweite Gesetz eine komplett eigenständige Landarbeiterkammer vorgesehen hätten. Der Vorsitzende, LH Dr. Franz Stumpf (damals hatte tatsächlich der LH den Vorsitz im Landtag), lässt den Abgeordneten Gaßebner beide Anträge fast bis zu Ende vortragen - zusammen an die 50 Paragraphen, reine Lesezeit eine geschätzte halbe Stunde - bis ihm die Geduld reißt. Er stellt fest, dass im Moment doch ein ganz anderer Gesetzesentwurf zur Debatte stünde. Weil sie weit von jeder Mehrheit entfernt sind, müssen sich die Sozialisten beugen. Sie spotten noch darüber, dass es nach § 2 des Gesetzes der Zweck der im § 1 bezeichneten Körperschaften sei, die "... sittlichen, kulturellen und materiellen" Verhältnisse der Mitglieder zu verbessern. Kulturell und materiell ja, aber sittlich? Wie das gehen sollte? Die Landarbeiter stellten im Ausschuss des Landeskulturrates ab 1928 vier Vertreter, gegenüber mindestens acht der Bezirksgenossenschaften, also der Landwirte. In der Vollversammlung haben die land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer neun Vertreter. Es stimmt also nicht, wie ich im Bauernkalender 2007 geschrieben habe, dass die Hereinnahme der Landarbeiter in die Landwirtschaftskammer eine Erfindung des Ständestaates (ab 1933) ist. ... und im Ständestaat In wie weit die Aufnahme der Landarbeiter in die Leitungsorgane des Landeskulturrates schon 1928 vom ständischen Denken der Zwischenkriegszeit beeinflusst ist, lässt sich heute schwer sagen. Die autoritäre Regierung ab 1933 unter dem ehemaligen niederösterreichischen Landwirtschafts-Kammeramtsdirektor Dr. Engelbert Dollfuß berief sich ausdrücklich auf die Enzyklika "Quadragesimo anno" (1931), die deshalb so heißt, weil sie 40 Jahre nach "Rerum novarum" (aus 1891) veröffentlicht wurde. Darin wird in einer ständischen Gliederung der Gesellschaft das Heilmittel gegen den Klassenkampf gesehen. Die Sozialdemokraten waren eindeutig und ausdrücklich für den Klassenkampf, und sie sagten das im Landtag und anderswo auch ständig. Der Bauernstand ist (neben den Beamten) die einzige Berufsgruppe, die ab 1933 nach den Idealen des autoritären Ständestaates neu organisiert wird. Das entsprechende Landesgesetz heißt nun "Gesetz von 21. Dezember 1935 betreffend die Errichtung des Berufsstandes Land-und Forstwirtschaft." Nachdem im 1. Abschnitt der "Geltungsbereich des Berufsstandes" umrissen wird, befasst sich der Abschnitt II. - mit dem Landesbauernbund: "§ 10. 1. Die Berufskörperschaft des Berufsstandes Land- und Forstwirtschaft in Tirol ist der Tiroler Bauernbund". Ab § 19 wird die "Landarbeiterschaft" geregelt. Erst ab § 46 kommen im Abschnitt III. die Landwirtschaftskammern dran. Sie sind (nur) dazu "berufen, die dem Tiroler Bauernbund in wirtschaftlicher Hinsicht obliegenden Aufgaben ... zu besorgen." In der Vollversammlung dieser Kammer sitzen 36 Selbständige und 12 Mann aus dem Kreis der Arbeiter und Angestellten. In den Vorständen der Bezirksbauernkammern muss nach diesem Gesetz mindestens ein Viertel aus dem Kreis der Arbeiter kommen. Es gab laut Anhang damals übrigens 12 Landwirtschaftsbezirke: Landeck, Außerfern, Imst, Telfs, Innsbruck, Wipptal (mit Sitz in Steinach), Schwaz (mit Sitz in Rotholz!), Zillertal (in Zell am Ziller), Wörgl, Kufstein, Kitzbühel (in St. Johann!) und Osttirol. 1938 wurde das alles sehr rasch aufgelöst; "Am 12. März fanden die Angestellten der Landesbauernkammer ebenso wie die des Bauernbundes und die Beamten des Landhauses ihre Büros von der SA besetzt. Am 13. März wurden Obermoser, Reitmair und die Direktoren von Kammer und Bauernbund, Dr. Erler und Dr. Hohenbruck, in das Landhaus gerufen. Dort stellte sich ihnen Georg Wurm aus Stumm i. Z. als neuer Landesbauernführer vor, der ihnen eröffnete, dass sie entlassen seien und sich jeder weiteren Tätigkeit zu enthalten hätten." So weit Hans Schermer im Kammerbuch zu 100 Jahre Landeskulturrat, 1982. Das Archiv wurde angeblich nach Salzburg, in die "Bauernschaft Alpenland" (im aufgelösten Borromäum in der Gaisbergstraße) transportiert - und es kam dort angeblich nie an. Neuer Anfang 1945 Die Frage, zu welcher Kammer die Landarbeiter gehören sollten, verzögerte die Neubildung der Landwirtschaftskammern nach 1945 beträchtlich. Sie waren damals, je nach Saison, immer noch eine ansehnliche Gruppe von 16.000 bis 30.000 Personen. (Diese Zahlen wurden bei der Konstituierung der Kammer im November 1949 laut Bauernzeitung genannt). Ein Bundesgesetz aus 1945 sprach die Landarbeiter den Arbeiterkammern zu. Zweimal wurde dies bis zum Verfassungsgerichtshof hinauf bekämpft. Der Verfassungsgerichtshof gab schließlich der Tiroler und Vorarlberger Ansicht Recht, dass die Vertretung der Anliegen dieser Berufsgruppe ganz in die Zuständigkeit der Landtage falle. Aber da war noch die Frage der ständischen Gliederung - die war nach 1945 ganz aus der Mode. Trotzdem beschlossen die Landtage in Bregenz und Innsbruck, als einzige in Österreich, dass die Vertretung der Dienstnehmer von einer Sektion der gemeinsamen Landwirtschaftskammer wahrzunehmen sei. So kam das Gesetz erstmals im Jahre 1947 zustande; die über fünfeinhalb Jahrzehnte weitgehend gültige Fassung stammt aber aus dem September 1949. Die Unterschiede zwischen beiden Gesetzen sind minimal. Ob sich diese Konstruktion bewährt hat oder nicht - das zu beurteilen steht mir nicht zu, zumal ich als einer, der seit 1966 Mitglied der Landarbeiterkammer war, als schwer befangen bezeichnet werden muss. Mitglied blieb der ehemals Berufstätige in der Land- und Forstwirtschaft laut Gesetz von 1949 auch dann, wenn er auf Grund dieser Tätigkeit einen Ruhe- oder Versorgungsgenuß genießt. Und das tun die ehemaligen Kammerangestellten, wie Sie wissen, reichlich. Seit der Novelle 1993 sind die Pensionisten zwar nicht mehr Mitglieder der Landarbeiterkammer, sie können aber die Dienste ihrer ehemaligen Berufsvertretung weiterhin in Anspruch nehmen. Wo ich Gelegenheit hatte, die Zusammenarbeit zwischen den so genannten Dienstgebern (von denen die meisten gar keine Dienstnehmer mehr am Hof hatten) und den Dienstnehmern zu beobachten, funktionierte sie erstaunlich gut. Zumal die Dienstgeber überall so satte Mehrheiten hatten, dass klar war, wer anschafft. Der so genannte paritätische Hauptausschuss tagte eigentlich so gut wie nie ... Es steht mir auch nicht zu, zu beurteilen, ob die teilweise Beendigung dieses doch recht seltenen Experimentes, die Zusammenarbeit von Dienstgebern und Dienstnehmern in einer Kammer, ob das alles zu begrüßen oder zu bedauern ist. Vieles von dem, was da alles in den letzten Jahrzehnten geschah, haben Sie aber entweder selbst miterlebt oder von Ihren Vorgängern in Ihrer Funktion erzählt bekommen. Was soll ich Ihnen darüber erzählen? Dass es weiterhin gemeinsame Gremien, gemeinsame Veranstaltungen usw. geben wird, macht den Abschied vom Altgewohnten womöglich leichter. Es wurde bereits erwähnt, dass und warum es in der Landwirtschaftskammer so gut wie kein Archiv aus der Zeit von vor 1945 gibt. Dem soll nun ein wenig abgeholfen werden: In den Archiven in Wien und Innsbruck wurden Originaldokumente, auch Gesetzestexte und Landtagsdebatten kopiert. Nach dem Jubeljahr 2007 soll das alles in einer schönen Kiste aufbewahrt werden und denen zur Verfügung stehen, die mit mir der Meinung sind, dass es ein Zeichen von Kultur ist, zu wissen, wo seine Wurzeln liegen. Oder muss man sagen: wo sie lagen - weil ein Teil dieser gemeinsamen Geschichte nun für beendet erklärt worden ist? Nach dem "Allfalligen" steht ein gemeinsames Abschiedsessen und -Trinken auf der heutigen Einladung. Wer noch miteinander isst und trinkt, wer miteinander feiert, der hat sich noch etwas zu sagen, der redet auch noch miteinander. Und dem will ich nicht länger im Wege stehen. </div> [[Kategorie:Landeskulturrat]] [[Kategorie:Agrargeschichte]] [[Kategorie:2006]]
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