Aus Holzknecht

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| autor = Winfried Hofinger
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| erscheinungsdatum= 2006
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Was hat man denn mit den alten Nazis gemacht, nach 1945? - In vielen Sparten waren fast keine Unbelasteten da. Ein kleiner Lehrer, ein Tierzuchtbeamter riskierte 1938 Stellung und damit Unterhalt für seine Familie, und 1939 eine rasche Einberufung zum Militär, wenn er nicht wenigstens NS-Parteianwärter wurde. Er wurde aber gerade deshalb, weil von ihm ein solcher Akt gefordert wurde -, zum Helden sind wir fast alle nicht geboren - ein besonderer Verächter des Systems, das ihn so gedemütigt hatte.
Was hat man denn mit den alten Nazis gemacht, nach 1945? - In vielen Sparten waren fast keine Unbelasteten da. Ein kleiner Lehrer, ein Tierzuchtbeamter riskierte 1938 Stellung und damit Unterhalt für seine Familie, und 1939 eine rasche Einberufung zum Militär, wenn er nicht wenigstens NS-Parteianwärter wurde. Er wurde aber gerade deshalb, weil von ihm ein solcher Akt gefordert wurde -, zum Helden sind wir fast alle nicht geboren - ein besonderer Verächter des Systems, das ihn so gedemütigt hatte.
Diese vielen kleinen Mitläufer wurden nach dem Krieg, zu Recht, wie ich meine, sehr rasch pardoniert. In meiner späteren Dienststelle, der Landwirtschaftskammer, war es so: Dem Präsidenten Josef Muigg zündeten die Nazis im März 1938 den Hof an. Direktor Franz Lechner hatte während der NS-Zeit in Tirol zeitweise Gauverbot. Beide konnten sich ab 1945 also sehr viel leisten. Sie stellten, auch in Ermangelung genügend Unbelasteter, so genannte minder Belastete als Tierzüchter, Pflanzenbauer und Forstleute ein, die wiederum alle heilfroh waren, irgendeine Arbeit zu finden. Das Politisieren war ihnen ausdrücklich verboten. Und welche Lieder sie, auf einer Exkursion etwa, um vier Uhr früh sangen, das ging niemand etwas an; zumal die harmloseren unter diesen Liedern die gleichen waren, die vor dem Krieg beim Wandervogel oder im Bund Neuland gesungen worden waren und die wir nach dem Krieg in der Katholischen Jugend sangen: "Wenn die bunten Fahnen wehen ..."
Diese vielen kleinen Mitläufer wurden nach dem Krieg, zu Recht, wie ich meine, sehr rasch pardoniert. In meiner späteren Dienststelle, der Landwirtschaftskammer, war es so: Dem Präsidenten Josef Muigg zündeten die Nazis im März 1938 den Hof an. Direktor Franz Lechner hatte während der NS-Zeit in Tirol zeitweise Gauverbot. Beide konnten sich ab 1945 also sehr viel leisten. Sie stellten, auch in Ermangelung genügend Unbelasteter, so genannte minder Belastete als Tierzüchter, Pflanzenbauer und Forstleute ein, die wiederum alle heilfroh waren, irgendeine Arbeit zu finden. Das Politisieren war ihnen ausdrücklich verboten. Und welche Lieder sie, auf einer Exkursion etwa, um vier Uhr früh sangen, das ging niemand etwas an; zumal die harmloseren unter diesen Liedern die gleichen waren, die vor dem Krieg beim Wandervogel oder im Bund Neuland gesungen worden waren und die wir nach dem Krieg in der Katholischen Jugend sangen: "Wenn die bunten Fahnen wehen ..."
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Der Dekan von St. Johann, Josef Ritter, der nach dem deutschen Endsieg mit meinem Vater auf dem Hauptplatz von St. Johann hätte aufgehängt werden sollen, war besonders groß im Verzeihen. Er nahm mich als Ministrant nur ein einziges Mal auf einen Versehgang zu einem Sterbenden mit - zu jenem Wirt, der ihm und meinem Vater das Aufhängen versprochen hatte. Versöhnt mit seinen ehemaligen Feinden, und wohl auch mit Gott, verstarb der Wirt im Winter 1948.
Der Dekan von St. Johann, Josef Ritter, der nach dem deutschen Endsieg mit meinem Vater auf dem Hauptplatz von St. Johann hätte aufgehängt werden sollen, war besonders groß im Verzeihen. Er nahm mich als Ministrant nur ein einziges Mal auf einen Versehgang zu einem Sterbenden mit - zu jenem Wirt, der ihm und meinem Vater das Aufhängen versprochen hatte. Versöhnt mit seinen ehemaligen Feinden, und wohl auch mit Gott, verstarb der Wirt im Winter 1948.
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Der Staatsvertrag
Der Staatsvertrag
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Besatzung war in Österreich nicht gleich Besatzung. Wenn wir von Salzburg zum Bundesjugendsingen nach Wien fuhren, brauchten wir dafür 1950 und 1953 noch eine viersprachige Identitätskarte. Der erste Russe unseres Lebens, auf der Ennsbrücke, schien uns besonders lustig und kinderlieb. Dass zur selben Zeit immer noch Österreicherinnen über Nacht verschwanden (prominentestes Beispiel: Margarethe Ottilinger, Ministersekretärin, von 1948 bis 1955 in sowjetischen Lagern festgehalten), wusste man im Westen kaum. Die Amerikaner in Salzburg waren bei
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Besatzung war in Österreich nicht gleich Besatzung. Wenn wir von Salzburg zum Bundesjugendsingen nach Wien fuhren, brauchten wir dafür 1950 und 1953 noch eine viersprachige Identitätskarte. Der erste Russe unseres Lebens, auf der Ennsbrücke, schien uns besonders lustig und kinderlieb. Dass zur selben Zeit immer noch ÖsterreicherInnen über Nacht verschwanden (prominentestes Beispiel: Margarethe Ottilinger, Ministersekretärin, von 1948 bis 1955 in sowjetischen Lagern festgehalten), wusste man im Westen kaum. Die Amerikaner in Salzburg waren bei
uns im Borromäum (erzbischöfliches Privatgymnasium in Salzburg, Gegenstück zum tirolischen Paulinum in Schwaz) besonders beliebt: Wenn wir bei ihnen sangen, etwa am Sonntag in der hl. Messe, in Liefering oder auf dem Obersalzberg, erhielten wir anschließend ein Essen von uns ganz unbekannter Qualität. Dazu Orangen so viele wir heimschleppen konnten, und jeder einen Dollar (entspricht einem heutigen Geldwert von 10 €). Als die letzten Amerikaner 1955 aus Salzburg abzogen, verlangte die Landesregierung dafür vom Bund eine Entschädigung!
uns im Borromäum (erzbischöfliches Privatgymnasium in Salzburg, Gegenstück zum tirolischen Paulinum in Schwaz) besonders beliebt: Wenn wir bei ihnen sangen, etwa am Sonntag in der hl. Messe, in Liefering oder auf dem Obersalzberg, erhielten wir anschließend ein Essen von uns ganz unbekannter Qualität. Dazu Orangen so viele wir heimschleppen konnten, und jeder einen Dollar (entspricht einem heutigen Geldwert von 10 €). Als die letzten Amerikaner 1955 aus Salzburg abzogen, verlangte die Landesregierung dafür vom Bund eine Entschädigung!
Was die Franzosen in Tirol getan haben, fiel nicht weiter auf. Dass ihre Musikkapelle falscher spielte als die heimische Blasmusik, merkte kaum jemand. Unserer Familie haben sie keine Villa beschlagnahmt - da waren schon lange Südtiroler Umsiedler drin. Aus Kostengründen haben die Franzosen schon vor 1955 ihre Truppen immer stärker reduziert.
Was die Franzosen in Tirol getan haben, fiel nicht weiter auf. Dass ihre Musikkapelle falscher spielte als die heimische Blasmusik, merkte kaum jemand. Unserer Familie haben sie keine Villa beschlagnahmt - da waren schon lange Südtiroler Umsiedler drin. Aus Kostengründen haben die Franzosen schon vor 1955 ihre Truppen immer stärker reduziert.
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Was bis 1955 geblieben ist: dass jeder Be-schluss der Bundesregierung, des Nationalrates und der Landtage von der Genehmigung der Alliierten abhing.
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Was bis 1955 geblieben ist: dass jeder Beschluss der Bundesregierung, des Nationalrates und der Landtage von der Genehmigung der Alliierten abhing.
Warum uns die Russen (auch damals sagte kein Mensch "die Sowjets") den Staatsvertrag gegeben haben? - Weil Österreich sich verpflichtet hat, ganz "freiwillig" die immerwährende Neutralität zu beschließen, was zur Folge hatte, dass ab 1955 jedes US-Armeeflugzeug, das von Deutschland nach Italien geflogen ist, über Frankreich fliegen musste. Wir wissen inzwischen, dass sie oft und ganz ungeniert über Österreich geflogen sind, wenn etwa Suezkrise war, oder wenn sie einfach Treibstoff sparen wollten ...
Warum uns die Russen (auch damals sagte kein Mensch "die Sowjets") den Staatsvertrag gegeben haben? - Weil Österreich sich verpflichtet hat, ganz "freiwillig" die immerwährende Neutralität zu beschließen, was zur Folge hatte, dass ab 1955 jedes US-Armeeflugzeug, das von Deutschland nach Italien geflogen ist, über Frankreich fliegen musste. Wir wissen inzwischen, dass sie oft und ganz ungeniert über Österreich geflogen sind, wenn etwa Suezkrise war, oder wenn sie einfach Treibstoff sparen wollten ...
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Also ist auch 1955 samt der Neutralität eine Lebenslüge? Eher nicht. Fast jeder Österreicher, jede Österreicherin über 60 Jahren weiß noch heute, wie gefühlsbetont er oder sie den 15. Mai erlebt hat.
Also ist auch 1955 samt der Neutralität eine Lebenslüge? Eher nicht. Fast jeder Österreicher, jede Österreicherin über 60 Jahren weiß noch heute, wie gefühlsbetont er oder sie den 15. Mai erlebt hat.
Ich war damals im Salzburger Borromäum, wo nichts in der Welt die seit dem Konzil von Trient (1545 bis 1563) immer gleiche Hausordnung stören konnte. Weil um 12.30 Uhr immer Mittagessen war, haben alle 196 Internierten den Jubelschrei von Leopold Figl nicht hören können. Einer schon: Ich verzichtete an diesem Tag auf den üblichen "Fraß" und saß mit klopfendem Herzen am Radiogerät im Studierzimmer der Sechstklassier.
Ich war damals im Salzburger Borromäum, wo nichts in der Welt die seit dem Konzil von Trient (1545 bis 1563) immer gleiche Hausordnung stören konnte. Weil um 12.30 Uhr immer Mittagessen war, haben alle 196 Internierten den Jubelschrei von Leopold Figl nicht hören können. Einer schon: Ich verzichtete an diesem Tag auf den üblichen "Fraß" und saß mit klopfendem Herzen am Radiogerät im Studierzimmer der Sechstklassier.
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Eine Gesellschaft, die nicht mehr feiern kann oder will, gibt sich selber auf. Es ist gut und recht, dass im Jahre 2005 sowohl der Ereignisse von 1945 wie der von 1955 gedacht wurde. Nur wegen des Zufalls des Dezimalsystems? - Ja, irgendeinen Anlass braucht man halt. Wie Adalbert Stifter und Hans Christian Andersen oder Albert Einstein 2005 mehr gefeiert wurden als in den Jahren davor und danach. 2006 wird der 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart gefeiert werden, mehr als sein 200. Todestag anno 1991. An diesem Beispiel wird allerdings offenbar werden, dass man aufpassen muss, nicht gar zu stark zu übertreiben.
Eine Gesellschaft, die nicht mehr feiern kann oder will, gibt sich selber auf. Es ist gut und recht, dass im Jahre 2005 sowohl der Ereignisse von 1945 wie der von 1955 gedacht wurde. Nur wegen des Zufalls des Dezimalsystems? - Ja, irgendeinen Anlass braucht man halt. Wie Adalbert Stifter und Hans Christian Andersen oder Albert Einstein 2005 mehr gefeiert wurden als in den Jahren davor und danach. 2006 wird der 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart gefeiert werden, mehr als sein 200. Todestag anno 1991. An diesem Beispiel wird allerdings offenbar werden, dass man aufpassen muss, nicht gar zu stark zu übertreiben.
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Wenn der ÖVP nun vorgeworfen wird, dass sie die Feiern zu sehr als Parteifeiern aufgezogen hätte, dann schwingt da auch der Neid ein wenig mit. Was kann die ÖVP dafür, dass Raab und Figl nun einmal ihre Bundesparteiobmänner waren? Sollte man deshalb nicht feiern?
Wenn der ÖVP nun vorgeworfen wird, dass sie die Feiern zu sehr als Parteifeiern aufgezogen hätte, dann schwingt da auch der Neid ein wenig mit. Was kann die ÖVP dafür, dass Raab und Figl nun einmal ihre Bundesparteiobmänner waren? Sollte man deshalb nicht feiern?
Den Reimmichl-Kalender gibt es immer schon im Herbst des Vorjahres. Es ist also nicht möglich, jetzt im Sommer 2005 zu sagen, wie würdig oder unwürdig unser Land all die runden Gedenktage - bis zum 60. Geburtstag des Bundeskanzlers - begangen hat.
Den Reimmichl-Kalender gibt es immer schon im Herbst des Vorjahres. Es ist also nicht möglich, jetzt im Sommer 2005 zu sagen, wie würdig oder unwürdig unser Land all die runden Gedenktage - bis zum 60. Geburtstag des Bundeskanzlers - begangen hat.
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Die Feiern im Parlament im Jänner 2005 und die im Belvedere am 15. Mai waren würdig und schön. Großer Unterschied zu 1945: Auf der Regierungsbank, und auch im jungen Orchester, saßen 2005 fast mehr Frauen als Männer. Auf dem viel kritisierten Bild des Malers Fuchs von der Unterzeichnung des Staatsvertrages ist nicht eine einzige Frau zu sehen. Die Frauen hatten 1945 wie 1955 in erster Linie dafür zu sorgen, wie sie ihre Familie ernährten; sie hatten die Trümmer aufzuräumen, die die Männer gemacht hatten. Das Durchschnittsgewicht der anwesenden Honoratioren war 2005 um geschätzte 25 kg höher als das jener von 1945 - und sie sind im Durchschnitt auch eine Spanne größer geworden als ihre Großväter.
Die Feiern im Parlament im Jänner 2005 und die im Belvedere am 15. Mai waren würdig und schön. Großer Unterschied zu 1945: Auf der Regierungsbank, und auch im jungen Orchester, saßen 2005 fast mehr Frauen als Männer. Auf dem viel kritisierten Bild des Malers Fuchs von der Unterzeichnung des Staatsvertrages ist nicht eine einzige Frau zu sehen. Die Frauen hatten 1945 wie 1955 in erster Linie dafür zu sorgen, wie sie ihre Familie ernährten; sie hatten die Trümmer aufzuräumen, die die Männer gemacht hatten. Das Durchschnittsgewicht der anwesenden Honoratioren war 2005 um geschätzte 25 kg höher als das jener von 1945 - und sie sind im Durchschnitt auch eine Spanne größer geworden als ihre Großväter.
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[[Kategorie:Reimmichlkalender]]
[[Kategorie:Politisches]]
[[Kategorie:Politisches]]
[[Kategorie:Familiengeschichte]]
[[Kategorie:Familiengeschichte]]
[[Kategorie:2006]]
[[Kategorie:2006]]

Aktuelle Version vom 14:34, 21. Feb. 2014

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